Discussion:
Bildung von Blausäure?
(zu alt für eine Antwort)
Tom M.
2004-04-12 13:28:22 UTC
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Hallo zusammen!

Ich habe auf einer Webseite gelesen, daß z.B. beim Verbrennen von
Seide, Wolle, Nylon und Polyurethan und sicher noch weiteren Stoffen,
Blausäure entsteht. Ist mir Wolle nun Schurwolle oder Baumwolle oder
beides gemeint?
Nun sind ja die meisten mir bekannten Textilien aus oder mit einem
dieser Stoffe, daher frage ich mich, wie hoch die Temperatur sein muß
damit das Gift entsteht und wie viel Blausäure z.B. pro 100 Gramm
verbrannter "Stoff" freiwird?
Des weiteren würde ich gerne wissen, ob Blausäure flüchtig ist oder ob
sie mühsehlig entfernt werden muß, wenn es z.B. zu einem Brand oder
ankokeln kommt?

Danke schonmal!

Gruß, Tom
--
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Christopher Frömmel
2004-04-12 15:37:48 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Ich habe auf einer Webseite gelesen, daß z.B. beim Verbrennen von
Seide, Wolle, Nylon und Polyurethan und sicher noch weiteren Stoffen,
Blausäure entsteht. Ist mir Wolle nun Schurwolle oder Baumwolle oder
beides gemeint?
AFAIK ist das nur mit Polyacryl(-nitril) möglich, da diese Faser die
Nitril-Gruppe sehr oft mitbringt R-(C(3-)N).
Post by Tom M.
Des weiteren würde ich gerne wissen, ob Blausäure flüchtig ist oder ob
sie mühsehlig entfernt werden muß, wenn es z.B. zu einem Brand oder
ankokeln kommt?
Blausäure ist ein Gas und wird sich dementsprechend verhalten. Wenn es
nicht mehr bittermandlig "duftet" ist es weg ;).
Dieter Wiedmann
2004-04-12 15:53:41 UTC
Permalink
Post by Christopher Frömmel
Post by Tom M.
Ich habe auf einer Webseite gelesen, daß z.B. beim Verbrennen von
Seide, Wolle, Nylon und Polyurethan und sicher noch weiteren Stoffen,
Blausäure entsteht. Ist mir Wolle nun Schurwolle oder Baumwolle oder
beides gemeint?
AFAIK ist das nur mit Polyacryl(-nitril) möglich, da diese Faser die
Nitril-Gruppe sehr oft mitbringt R-(C(3-)N).
Das kommt stark auf die Reaktionsbedingungen (Temperatur,
Sauerstoffkonzentration) an. Bei der Verrennung von Polyurethan können
auch erhebliche Mengen an Cyanwasserstoff entstehen, bei Polyamiden
(Wolle, Seide, Nylon) ehr geringe. Bei Baumwolle fehlt der dazu
notwendige, organisch gebundene Stickstoff.
Post by Christopher Frömmel
Blausäure ist ein Gas und wird sich dementsprechend verhalten. Wenn es
nicht mehr bittermandlig "duftet" ist es weg ;).
Blausäure nennt man eine wässrige Lösung von Cyanwasserstoff, und der
hat im übrigen einen Siedepunkt von knapp 26°C.


Gruß Dieter
Tom M.
2004-04-12 17:55:36 UTC
Permalink
Post by Dieter Wiedmann
Das kommt stark auf die Reaktionsbedingungen (Temperatur,
Sauerstoffkonzentration) an. Bei der Verrennung von Polyurethan können
auch erhebliche Mengen an Cyanwasserstoff entstehen, ...
Warum wird der Stoff dann überhaupt noch verwendet?
Nur mal als Beispiel, wenn z.B. eine Jacke mit PUR überzogen wäre und
diese würde irgendwobei (z.B. durch Kontakt mit einer Zigarette)
ankokeln, entstünde dann lebensbedrohlich viel Blausäure?
Post by Dieter Wiedmann
... bei Polyamiden (Wolle, Seide, Nylon) ehr geringe. Bei Baumwolle fehlt der dazu
notwendige, organisch gebundene Stickstoff.
Aha, gut zu wissen.
Post by Dieter Wiedmann
Blausäure nennt man eine wässrige Lösung von Cyanwasserstoff, und der
hat im übrigen einen Siedepunkt von knapp 26°C.
Bedeutet das ähnlich flüchtig wie Chlorwasserstoff?
Entsteht denn beim ankokeln/verbrennen eines Gegenstandes z.B. aus PUR
überhaupt Blausäure oder Cyanwasserstoff?

Gruß, Tom
--
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Dieter Wiedmann
2004-04-12 19:32:56 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Warum wird der Stoff dann überhaupt noch verwendet?
Bei einem Brand der größere Mengen Cyanwasserstoff freisetzt hast du
andere Probleme als dessen Toxizität.
Post by Tom M.
Nur mal als Beispiel, wenn z.B. eine Jacke mit PUR überzogen wäre und
diese würde irgendwobei (z.B. durch Kontakt mit einer Zigarette)
ankokeln, entstünde dann lebensbedrohlich viel Blausäure?
Nein.
Post by Tom M.
Bedeutet das ähnlich flüchtig wie Chlorwasserstoff?
Weniger, HCl siedet schon bei -85°C.
Post by Tom M.
Entsteht denn beim ankokeln/verbrennen eines Gegenstandes z.B. aus PUR
überhaupt Blausäure oder Cyanwasserstoff?
Schon, aber wie gesagt, die Mengen hängen stark von den Bedingungen ab.


Gruß Dieter
ThiloBStern
2004-04-12 20:00:19 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Entsteht denn beim ankokeln/verbrennen eines Gegenstandes z.B. aus PUR
überhaupt Blausäure oder Cyanwasserstoff?
Was im Volksmund Blausäure heisst, bezeichnet eine wässrige Lösung von
Cyanwasserstoff.
Hier eine Unterscheidung zu treffen, ist in den meisten Fällen sinnlos.
Auch mit der Luftfeuchte oder der Flüssigkeit in den Lungen bildet sich aus dem
gasförmigen Cyanwasserstoff die gelöste Blausäure.

Gruß
Thilo
Tom M.
2004-04-12 20:29:12 UTC
Permalink
Post by ThiloBStern
Post by Tom M.
Entsteht denn beim ankokeln/verbrennen eines Gegenstandes z.B. aus PUR
überhaupt Blausäure oder Cyanwasserstoff?
Was im Volksmund Blausäure heisst, bezeichnet eine wässrige Lösung von
Cyanwasserstoff.
Ich weiß.
Post by ThiloBStern
Hier eine Unterscheidung zu treffen, ist in den meisten Fällen sinnlos.
Kann sein das ich mich täusche, aber wenn etwas anbrennt, dann herrscht
doch auch entsprechende Hitze, also dachte ich, daß es dann eventuell
nicht zu einer wässrigen Lösung kommt, bzw. der Stoff schneller
verdunstet, als wenn er bei Raumtemperatur vorliegt, falsch?
Post by ThiloBStern
Auch mit der Luftfeuchte oder der Flüssigkeit in den Lungen bildet sich aus dem
gasförmigen Cyanwasserstoff die gelöste Blausäure.
Ja ist klar, nur vermute ich, daß die Menge, die in der Lunge ankommt
geringer sein wird, wenn der Cyanwasserstoff durch hohe Temperatur bei
der Entstehung im Freien gleich teilweise verdunstet, falsch oder richtig?

Gruß, Tom
--
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ThiloBStern
2004-04-13 19:54:56 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Ja ist klar, nur vermute ich, daß die Menge, die in der Lunge ankommt
geringer sein wird, wenn der Cyanwasserstoff durch hohe Temperatur bei
der Entstehung im Freien gleich teilweise verdunstet, falsch oder richtig?
Wenn du ganz im Freien bei leichtem Wind arbeitest, dann ist die Gefahr so
gering, daß du sie vergessen kannst.
Du mußt ja nicht unbedingt die Nase voll in den Qualm halten und tief
durchatmen. Und da dürfte dann auch CO durch seine Menge gefährlicher sein als
das Cyanid.

Gruß
Thilo
Edgar
2004-04-13 13:15:31 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Hallo zusammen!
Ich habe auf einer Webseite gelesen, daß z.B. beim Verbrennen von
Seide, Wolle, Nylon und Polyurethan und sicher noch weiteren Stoffen,
Blausäure entsteht. Ist mir Wolle nun Schurwolle oder Baumwolle oder
beides gemeint?
Nun sind ja die meisten mir bekannten Textilien aus oder mit einem
dieser Stoffe, daher frage ich mich, wie hoch die Temperatur sein muß
damit das Gift entsteht und wie viel Blausäure z.B. pro 100 Gramm
verbrannter "Stoff" freiwird?
Das ist wieder mal so eine typische Panik-Meldung!
Wenn ich organische Substanzen bei relativ niedriger Temperatur und
möglichst wenig Sauerstoff kokeln lasse, kommen im Rauch zigtausende
Verbindungen vor, bei Anwesenheit von N2 natürlich auch Cyan.
Es ist aber völlig überflüssig, sich deshalb Sorgen zu machen, eine
Vergiftung ist ausgeschlossen, weil die Mengen in keinem Fall
ausreichen. Das unter gleichen Bedingungen entstehende altbekannte
Kohlenmonoxid ist dagegen eine reale Gefahr; nebenbei bemerkt: Der
Vergiftungsmechanismus (Blokade des Hämoglobin) ist bei beiden
Substanzen gleich.
Tom M.
2004-04-14 16:35:39 UTC
Permalink
Post by Edgar
Das ist wieder mal so eine typische Panik-Meldung!
Ich wollte keine Panik machen, hab aber vielleicht den Text ungewollt so
formuliert, daß es so wirken kann!
Post by Edgar
Wenn ich organische Substanzen bei relativ niedriger Temperatur und
möglichst wenig Sauerstoff kokeln lasse, kommen im Rauch zigtausende
Verbindungen vor, bei Anwesenheit von N2 natürlich auch Cyan.
Es ist aber völlig überflüssig, sich deshalb Sorgen zu machen, eine
Vergiftung ist ausgeschlossen, weil die Mengen in keinem Fall
ausreichen.
Ok, hab ich auch schon angenommen, wollte es nur bestätigt haben.
Es war auch nur eine rein theoretische Frage von mir, einfach aus
Interessen, ich kokel nicht mir Kunststoffen oder anderen Stoffen rum! ;)
Post by Edgar
Das unter gleichen Bedingungen entstehende altbekannte
Kohlenmonoxid ist dagegen eine reale Gefahr; nebenbei bemerkt: Der
Vergiftungsmechanismus (Blokade des Hämoglobin) ist bei beiden
Substanzen gleich.
Ahja, das ist zugegebnermaßen interessant.
Aber insgesamt frage ich mich schon, warum Kunstoffe verwendet werden,
wie PUR oder PVC oder andere halogenierte Flammschutzmittel usw., wenn
bekannt ist, daß sie im Brandfall ausgesprochen giftig sind?
Mir ist zumindest bei reinem Polyethylen und Polypropylen, wenn es frei
von Zusätzen ist, kein so giftiges Brandverhalten bekannt, oder täusche
ich mich da?

Gruß, Tom
--
Alle Mails an die obige Mailadresse werden automatisch und ungelesen
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Thorsten Schosser
2004-04-15 11:18:49 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Aber insgesamt frage ich mich schon, warum Kunstoffe verwendet werden,
wie PUR oder PVC oder andere halogenierte Flammschutzmittel usw., wenn
bekannt ist, daß sie im Brandfall ausgesprochen giftig sind?
Mir ist zumindest bei reinem Polyethylen und Polypropylen, wenn es frei
von Zusätzen ist, kein so giftiges Brandverhalten bekannt, oder täusche
ich mich da?
PE und PP entwickeln , wenn sie einfach so brennen, eine nicht
unerhebliche Menge Ruß. Flammschutzmittel sind dazu da, eine Entflammung
zu verhindern bzw. eine Brandausbreitung zu erschweren. Aus diesem Grund
nimmt man ihre Giftigkeit in Kauf, sollte es mal zu einem richtigen
Brand kommen. Die Verhütung von größeren Sachschäden mit Hilfe der
Flammschutzmittel hat aber höhere Priorität.
Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn die Flammschutzmittel aus den zu
schützenden Komponenten ausdünsten. Dagegen gibt es ja Anstrengungen, um
dieses zu verhindern.

Gruß

Thorsten
ThiloBStern
2004-04-15 15:08:51 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Aber insgesamt frage ich mich schon, warum Kunstoffe verwendet werden,
wie PUR oder PVC oder andere halogenierte Flammschutzmittel usw., wenn
bekannt ist, daß sie im Brandfall ausgesprochen giftig sind?
Selbiges dürfte u.a. daran liegen, daß sie in der Herstellung günstiger
und/oder einfacher sind oder einfach andere - vermeindlich bessere -
Eigenschaften haben.
Post by Tom M.
Mir ist zumindest bei reinem Polyethylen und Polypropylen, wenn es frei
von Zusätzen ist, kein so giftiges Brandverhalten bekannt, oder täusche
ich mich da?
Bei deren Verbrennung entstehen zwar praktisch kein HCl und HCN, aber das nicht
minder giftige CO entsteht auch dort, da bei den meisten (unfreiwlligen)
Bränden nicht genügend O2 zur vollständigen Verbrennung zugeführt wird.

Gruß
Thilo
Frank Feger
2004-04-15 15:13:52 UTC
Permalink
Post by Tom M.
wie PUR
Sehr vielfältig einsetzbar, insbesonders als Elastomer.
Post by Tom M.
oder PVC
Preisgünstig, haltbar.
Post by Tom M.
Mir ist zumindest bei reinem Polyethylen und Polypropylen, wenn es frei
von Zusätzen ist, kein so giftiges Brandverhalten bekannt, oder täusche
ich mich da?
Dafür sind diese beiden Materialien für viele Aufgaben einfach nicht
einsetzbar und brennen auch ganz gut.


Grüße,

F^2
achim waldek
2004-04-20 12:00:27 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Aber insgesamt frage ich mich schon, warum Kunstoffe verwendet werden,
wie PUR oder PVC oder andere halogenierte Flammschutzmittel usw., wenn
bekannt ist, daß sie im Brandfall ausgesprochen giftig sind?
Mir ist zumindest bei reinem Polyethylen und Polypropylen, wenn es frei
von Zusätzen ist, kein so giftiges Brandverhalten bekannt, oder täusche
ich mich da?
halogenierte Kohlenwasserstoffe wie zum Beispiel Tetra oder Halon sind
unbrennbar. Sie unterhalten auch die Verbrennung nicht. Daher setzt
man sie gerade als Löschmittel ein. Sie haben aber andere
schwerwiegende nachteile. Sie sind giftig und sie begünstigen den
Ozonabbau. Daher sind sie verboten- außer im rennsport, wo die
bordeigene Löschanlage immer noch Halon enthält (AFAIK).
Die schlussfolgerung haolgeniert KWs sind "sie im Brandfall
ausgesprochen giftig" stimmt nicht. Sie ist falsch.
Was anderes ist das Thema PVC. PVC wird in großen Mengen produziert
und eingesetzt weil:
a)PVC ein Werkstoff mit vielen guten Eigenschaften ist.
b)PVC billig hergestellt werden kann
c)und dieser Punkt taucht kaum auf: PVC ist die billigste Methode, das
viele Chlor zu entsorgen, welches bei der Herstellung von Natronlauge
anfällt.
man nimmt die Nachteile in Kauf, dass halt bei der Verbrennung
Salzsäure entsteht. Dies ist aber wirklich nicht der Hauptgrund, wenns
brennt.

PUR ist ein Kunststoff mit wiederum anderen Eigenschaften. Bauschaum
beispielsweiose kann man nicht auf PP Basis herstellen. Daher wird er
eingesetzt. PUR, nebenbei bemerkt, ist ausgesprochen schwer
entflammbar. Bist das so richtig Blausäure freisetzt, hast Du ganz
andere Sorgen.
PE und PP brenn sehr sehr sauber, sie sind aber nicht geeignet, um PVC
überall zu ersetzen. Frag mal einen Kunststofffuzzi, wo die
Unterschiede liegen.
Ralf Muschall
2004-04-15 22:03:42 UTC
Permalink
Post by Edgar
Vergiftungsmechanismus (Blokade des Hämoglobin) ist bei beiden
Substanzen gleich.
Nein. Cyanid blockiert Eisen irgendwo im Cytochromsystem. Die
Bindung an das Eisen im Hämoglobin ist eine gewollte (weil
cyanidverbrauchende), nur mäßig schädliche Nebenreaktion, die man bei
der Notfallbehandlung noch medikamentös fördert.

Ralf
--
GS d->? s:++>+++ a+ C++++$ UL+++$ UH+ P++ L++ E+++ W- N++ o-- K- w--- !O M- V-
PS+>++ PE Y+>++ PGP+ !t !5 !X !R !tv b+++ DI+++ D? G+ e++++ h+ r? y?
Edgar
2004-04-16 07:32:57 UTC
Permalink
Post by Ralf Muschall
Nein. Cyanid blockiert Eisen irgendwo im Cytochromsystem. Die
Bindung an das Eisen im Hämoglobin ist eine gewollte (weil
cyanidverbrauchende), nur mäßig schädliche Nebenreaktion, die man bei
der Notfallbehandlung noch medikamentös fördert.
Ralf
gemeint war von mir die physiologische Wirkung: Das Hämoglobin ist
nicht mehr ztum Sauerstofftransport befähigt.
Martin Lenz
2004-04-16 07:38:19 UTC
Permalink
Post by Edgar
Post by Ralf Muschall
Nein. Cyanid blockiert Eisen irgendwo im Cytochromsystem. Die
Bindung an das Eisen im Hämoglobin ist eine gewollte (weil
cyanidverbrauchende), nur mäßig schädliche Nebenreaktion, die man bei
der Notfallbehandlung noch medikamentös fördert.
Ralf
gemeint war von mir die physiologische Wirkung: Das Hämoglobin ist
nicht mehr ztum Sauerstofftransport befähigt.
Ist eher so, daß Zellen mit blockiertem Cytochrom den O2 gar nicht mehr
verarbeiten können. Es dürfte für toxische Wirkung im Cytochromsystem
deutlich weniger Cyanid brauchen als für gefährlich starke Blockade des
Hämoglobins.

Martin
Ralph Deubner
2004-04-17 07:21:09 UTC
Permalink
Post by Martin Lenz
Ist eher so, daß Zellen mit blockiertem Cytochrom den O2 gar nicht mehr
verarbeiten können. Es dürfte für toxische Wirkung im Cytochromsystem
deutlich weniger Cyanid brauchen als für gefährlich starke Blockade des
Hämoglobins.
Der ersten Teil stimmt.
CN- blockiert das Fe3+ in der Cytochromoxidase (Atmungskette), damit ist
diese entkoppelt und die Zellatmung findet nicht mehr statt. Die
Komplexbildung ist voll reversibel, d.h., wird die Exposition *überlebt* und
das Opfer kann dann wieder normale Luft atmen, erfolgt zumeist eine wieder
eine vollständige Entgiftung. Und der Therapieansatz ist schlicht, die
Konzentration von freiem CN- herabzusetzen und somit weniger zur
Komplxierung der Cytochromoxidase zur Verfügung
zu stellen.
Der zweite Teil, die Bindung an Hb stimmt nicht: CN- komplexiert mit Fe3+
und *nicht* mit Fe2+. In normalem Hb ist aber Fe2+ vorhanden (Fe3+ bindet
keinen Sauerstoff!!!). Eine der Therapie-Mögichkeiten ist daher,
Met-Hämoglobin (also mit Fe3+) zu erzeugen. Bereits wenige % Met-Hb genügen,
um große Mengen CN- zu binden und "unschädlich" zu machen - ohne dass der
Sauerstofftransport im Blut wesentlich bzw. gefährlich eingeschränkt wird.


Ralph
Frank Feger
2004-04-17 19:01:05 UTC
Permalink
Post by Ralph Deubner
CN- komplexiert mit Fe3+
und *nicht* mit Fe2+.
<Verwunderung> Die Bildung von K4[Fe(CN)6] durch Hinzugabe von FeSO4
ist doch eine der Standardmethoden, um CN- unschädlich zu machen. Das
dabei entstandene Hexacyanoferrat(II) ist sogar stabiler als das mit
Fe3+ entstehende Hexacyanoferrat(III).


Grüße,

F^2
Ralph Deubner
2004-04-18 09:10:01 UTC
Permalink
Die Verwunderung erscheint auf den ersten Blick richtig. Aber nur auf den:
es ist ein Unterschied, ob man von Eisenionen in wässrigen Lösungen spricht
oder von komplex gebundenem Eisen in Enzymen.


Die Hexacyanoferrate sind als Komplexionen äußerst stabil, und das (II)
ist - Kryptonkonfiguration! - das stabilere. Das ist richtig. Es geht dabei
um wässrige (alkalische) Lösungen.
Die Eisenatomen in den Redoxenzymen (zB Cytochromoxidase, aber für das
Hämoglobin gilt das analog: ist ja in beiden Fällen eine Häm-Gruppe) sind
dort bereits komplex gebunden. Das Eisenatom ist vom Tetrapyrrolring
umgeben, vier Stickstoffe binden das Eisen komplex. Dazu kommen dann - diese
eben beschriebene Häm-Gruppe ist ja "nur" prosthetische Gruppe - noch von
einem größeren Protein umgeben. Im Hämogloben halten zwei Histidin-Reste das
Eisenatom zusätzlich fest. Zur Vorstellung: eine Ebene mit den vier
Stickstoffen um das Eisen herum (dazu halt noch der Rest des Tetrapyrrols)
und von oben und unten ein Histiden aus dem Protein. D. h. das Fe2+ ist im
Hämoglobin bereits sechsfach koordiniert. Die Sauerstoffbindung erfolgt,
indem sich O2 zwischen ein der beiden Histidine und das Eisen hineinschiebt.
Also ist eine Cyanoferrat-Bildung hier NICHT möglich. Im Cytochrom gilt im
Wesentlichen das Gleiche.
Das heisst, es können sich keine (stabileren) 1:6-Komplexe bilden. Wohl aber
1:1-Komplexe (immer im Protein!), und diese sind - wie ich geschrieben
habe - reversibel. Aber deutlich stärker als die entsprechenden
Sauerstoffkomplexe. Für die Therapie heisst die (wie ich auch schon
geschrieben habe), wenn das Sauerstoffangebot größer wird (also Cyanidfreie
Luft oder besonders großer Sauerstoffanteil (bzw. reiner Sauerstoff)) oder
die Konzentration an freiem Cyanid vermindert wird (Met-Hämoglobin mit Fe2+,
stärkerer Komplex als mit Fe3+ - wie gesagt, Hexacynaoferrat geht nicht),
dann kann der Körper sich erholen. Wenn das nicht geht - Exitus. Und zwar
ein kein bisschen angenehmer, ganz im Gegenteil.


Grüße,
Dr. Ralph Deubner
Post by Frank Feger
Post by Ralph Deubner
CN- komplexiert mit Fe3+
und *nicht* mit Fe2+.
<Verwunderung> Die Bildung von K4[Fe(CN)6] durch Hinzugabe von FeSO4
ist doch eine der Standardmethoden, um CN- unschädlich zu machen. Das
dabei entstandene Hexacyanoferrat(II) ist sogar stabiler als das mit
Fe3+ entstehende Hexacyanoferrat(III).
Grüße,
F^2
Frank Feger
2004-04-18 17:25:18 UTC
Permalink
Post by Ralph Deubner
es ist ein Unterschied, ob man von Eisenionen in wässrigen Lösungen spricht
oder von komplex gebundenem Eisen in Enzymen.
Hättest vielleicht dazuschreiben sollen, daß Du Dich hier auf bereits
mit Porphyrin komplexiertes Eisen beziehst. Das war aus
Post by Ralph Deubner
CN- komplexiert mit Fe3+ und *nicht* mit Fe2+
nicht zu entnehmen. Ich hatte schon Zweifel an meinen AC-Kenntnissen.
*g*
Post by Ralph Deubner
und von oben und unten ein Histiden aus dem Protein.
Im Greenwood/Earnshaw war noch von nur einer Seite die Rede. Wieder
etwas hinzugelernt.


Danke für die Informationen!

F^2
Martin Lenz
2004-04-19 18:09:23 UTC
Permalink
Post by Ralph Deubner
Der zweite Teil, die Bindung an Hb stimmt nicht: CN- komplexiert mit Fe3+
und *nicht* mit Fe2+. In normalem Hb ist aber Fe2+ vorhanden (Fe3+ bindet
keinen Sauerstoff!!!). Eine der Therapie-Mögichkeiten ist daher,
Met-Hämoglobin (also mit Fe3+) zu erzeugen. Bereits wenige % Met-Hb genügen,
um große Mengen CN- zu binden und "unschädlich" zu machen - ohne dass der
Sauerstofftransport im Blut wesentlich bzw. gefährlich eingeschränkt wird.
Heist das, daß CN- nicht mit Hämoglobin reagiert? Ich dachte, genau
diese Reaktion würde Met-Hämoglobin erzeugen und dabei aber CN- vom
Cytochrom fernhalten. Oder wird das Met-Hb gezielt (durch Medikamente)
erzeugt?

Martin
Joerg Geiger
2004-04-20 06:04:42 UTC
Permalink
Post by Martin Lenz
Heist das, daß CN- nicht mit Hämoglobin reagiert?
Ja.
Post by Martin Lenz
Ich dachte, genau
diese Reaktion würde Met-Hämoglobin erzeugen und dabei aber CN- vom
Cytochrom fernhalten.
Nein.
Post by Martin Lenz
Oder wird das Met-Hb gezielt (durch Medikamente)
erzeugt?
Ja, und zwar mit Oxidationsmitteln wie etwa Natriumnitrit oder
in der Therapie von Cyanidvergiftungen mit Dimethylaminophenol.
--
Joerg Geiger
joerg_geiger(at)web.de
Wenn weise Maenner nicht irrten, muessten die Narren verzweifeln.
(Goethe, Maximen und Reflexionen)
Martin Lenz
2004-04-20 12:46:30 UTC
Permalink
Post by Joerg Geiger
Post by Martin Lenz
Oder wird das Met-Hb gezielt (durch Medikamente)
erzeugt?
Ja, und zwar mit Oxidationsmitteln wie etwa Natriumnitrit oder
in der Therapie von Cyanidvergiftungen mit Dimethylaminophenol.
NaNO2 ist doch (auch) im Pökelsalz enthalten. Ich wußte nicht, daß etwas
was mit dem Hb so stark reagiert als Lebensmittelzusatzstoff
zulässig/gebräuchlich ist.
Aber da war ja noch irgendwas mit Cynose/Blausucht bei Kleinkindern,
wenn sie zuviel Nitrat (oder Nitrit? ) bekommen. Ist das auch Met-Hb
Bildung?

Martin
Joerg Geiger
2004-04-20 14:33:12 UTC
Permalink
Post by Martin Lenz
Aber da war ja noch irgendwas mit Cynose/Blausucht bei Kleinkindern,
wenn sie zuviel Nitrat (oder Nitrit? ) bekommen. Ist das auch Met-Hb
Bildung?
Yep. Saeuglingen kann deswegen NO_2^- und NO_3^- gefaehrlich werden.
--
Joerg Geiger
joerg_geiger(at)web.de
Wenn weise Maenner nicht irrten, muessten die Narren verzweifeln.
(Goethe, Maximen und Reflexionen)
Uwe Bieling
2004-04-20 15:36:15 UTC
Permalink
Martin Lenz schrieb:

Hi,
Post by Martin Lenz
Post by Joerg Geiger
Ja, und zwar mit Oxidationsmitteln wie etwa Natriumnitrit oder
in der Therapie von Cyanidvergiftungen mit Dimethylaminophenol.
NaNO2 ist doch (auch) im Pökelsalz enthalten. Ich wußte nicht, daß etwas
was mit dem Hb so stark reagiert als Lebensmittelzusatzstoff
zulässig/gebräuchlich ist.
Fast. Pökeln kannst du mit Nitritpökelsalz, aber auch mit
Nitratpökelsalz. Dies hat 2 Vorteile: Dein Fleisch bleibt beim Kochen
schön rot (s. Umrötung, Met-Myoglobin) und wird nicht hässlich braun und
die Chance an Botulismus zu sterben ist auch niediger.

Ciao,
Uwe
--
www.Uwe-Bieling.de
for eMails replace .edu with .de
Ralph Deubner
2004-04-20 19:37:59 UTC
Permalink
Post by Martin Lenz
Post by Joerg Geiger
Post by Martin Lenz
Oder wird das Met-Hb gezielt (durch Medikamente)
erzeugt?
Ja, und zwar mit Oxidationsmitteln wie etwa Natriumnitrit oder
in der Therapie von Cyanidvergiftungen mit Dimethylaminophenol.
NaNO2 ist doch (auch) im Pökelsalz enthalten. Ich wußte nicht, daß etwas
was mit dem Hb so stark reagiert als Lebensmittelzusatzstoff
zulässig/gebräuchlich ist.
Aber da war ja noch irgendwas mit Cynose/Blausucht bei Kleinkindern,
wenn sie zuviel Nitrat (oder Nitrit? ) bekommen. Ist das auch Met-Hb
Bildung?
Die Mengen an NO2, die man beim Essen von Pökelfleisch zu sich nimmt, sind
für Erwachsene ungefährlich, da der Körper das selber entgiften kann. Bei
Säuglingen sind die dazu notwendigen Enzymsysteme noch nicht ausgereift,
daher ist das für Säugling sehr gefährlich...
Der allseits so geschätzte Spinat enthält übrigens auch nicht mehr Eisen als
anderen Gemüse (das war ein Komma-Fehler vor ein paar Jahrzehnten - aber für
diese NG erzähle ich jetzt wohl nix Neues), dafür aber jede Menge Nitrat.
Ist auch für Kleinkinder - in Maßen - nicht wirklich gefährlich. Gefährlich
wird's aber, wenn man den Spinat stehen lässt und wieder aufwärmt. Dann
nämlich findet eine Reduktion zu Nitrit statt, und NO2 kann dann in
ernsthaft gefärhlich hohen Dosen auftreten. Also: Kinder weiter mit Spinat
quälen, aber nicht mit wieder aufgewärmten :-)


Grüße,
Ralph
Post by Martin Lenz
Martin
Thorsten Schosser
2004-04-13 14:50:17 UTC
Permalink
Post by Tom M.
Nun sind ja die meisten mir bekannten Textilien aus oder mit einem
dieser Stoffe, daher frage ich mich, wie hoch die Temperatur sein muß
damit das Gift entsteht und wie viel Blausäure z.B. pro 100 Gramm
verbrannter "Stoff" freiwird?
Du meinst mit Blausäure den Cyanwasserstoff. Dieser ist brennbar, also
darf die Temperatur nicht so hoch sein. Beim Kokeln entstehen aber
tausende weitere Verbindungen, die alle nicht sonderlich gesund sind
(denke auch an CO).
Post by Tom M.
Des weiteren würde ich gerne wissen, ob Blausäure flüchtig ist oder ob
sie mühsehlig entfernt werden muß, wenn es z.B. zu einem Brand oder
ankokeln kommt?
Cyanwasserstoff ist bei Brandbedingungen ein Gas und somit flüchtig. Im
übrigen wird die Gefährlichkeit von HCN überschätzt, H2S ist um längen
giftiger als HCN und wird bei vielen Darmwinden (aka as "Furz")
ausgestoßen (z.T. in solchen Mengen, daß man sich damit vergiften kann).
HCN hat noch den Nachteil, daß es nicht jeder riechen kann. Ich kann es
nicht riechen, hab mal an einer Blausäure-Flasche geschnüffelt und nix
gerochen.

Gruß

Thorsten
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